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Wie weiter mit den Clubgeräuschen?

EIN LAGEBILD ZUR DEBATTE UM DEN KULTURSCHALL VON DER LIVEKOMM AG KULTURRAUMSCHUTZ

Die aktuell in einer novellierten Form der TA-Lärm vorgesehene Experimentierklausel (siehe Referentenentwurf des Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, nukleare Sicherheit und Verbraucherschutz – BMUV) hat nach Einschätzungen der LiveKomm durch weitreichende Einschränkungen so gut wie keine Auswirkungen für bestehende Musikclubs.

Nach der Länder- und Verbändebeteiligung läuft derzeit noch die behördeninterne Abstimmung zwischen den Bundesministerien zur Erarbeitung eines Kabinettsentwurfs. Nach dessen Beschlussfassung obliegt eine Anpassung der Schallregularien dem Bundesrat und damit einer Abstimmung zwischen den 16 Bundesländern.

Baden-Württemberg hat mit dem Antrag zur Entschließung des Bundesrates zur Einführung von Regelungen im Immissionsschutzrecht und Bauplanungsrecht zur Bewältigung von Immissionskonflikten im Rahmen der Innenentwicklung (Drucksache 179/24) Anpassungsbedarfe formuliert und eingebracht. Über den Verlauf dieser Initiative liegen bislang keine Erkenntnisse vor.


Zwei Kategorien von Schallkonflikten von Musikclubs

Für den Bestand von Musikclubs sind zwei Formen von Schallkonflikten besonders relevant:

A) Am häufigsten treten Schallkonflikte durch Schallabstrahlung verursacht durch Musik auf. Hierrunter fallen häufig Schallabstrahlungen verursacht durch nicht vorhandene Schallschleusen an den Türen (regelmäßiges Öffnen/Schließen von Ein- und Ausgangstüren), keine oder nicht ausreichend vorhandene Lüftungen, sowie auch Bassübertragungen.

B) Direkt danach folgen in der Häufigkeit Schallkonflikte durch Menschen und Besucherverkehr (“Verhaltenslärm”). Hier sind Immissionen von Gäste in Außenbereichen (bspw. Raucherbereich) bzw. im öffentlichen Raum zu verzeichnen, z.B. in mehr oder weniger langen Warteschlangen (z. T. über mehrere Stunden vor dem Club) oder durch An- und Abreisen der Gäste (zu Fuß, mit dem Fahrrad oder z.T. mit Taxis (u.a. nächtliches Türenschlagen) und/oder PKWs zu Parkplätzen.

Der Hochbetrieb von Musikclubs fällt häufig in die späteren Nachtzeiten, in denen die Mehrheitsgesellschaft einen geruhsamen Schlaf benötigt. Es gibt jedoch auch Musikclubs, deren Betriebszeiten (insbesondere bei dem Angebot von Live-Konzerten) gegen 22 Uhr oder 23 Uhr enden. Deswegen ist ein kategorischer Ausschluss z .B. gemäß Baunutzungsverordnung  in Allgemeinen Wohngebieten nicht förderlich.

Lösungsansätze & Herausforderungen

Schallkonflikte der Kategorie durch A) könnten vermutlich häufig baulich gelöst werden. Bauliche Schallschutzmaßnahmen sind jedoch fast immer sehr kostenintensiv (z.B. insbesondere für Bassdämmungen oder Lüftungen). Häufig sind Musikclubs aber nur Mieter der Bestandsgebäude und die Eigentümer zeigen wenig bis kein Interesse, diese Investitionen zu tätigen. Auch verhindern mancherorts kurzfristige Mietverträge die benötigte Rentabilität von notwendigen Investitionen. Ein Bundesschallschutzprogramm – wie jüngst von der Ampel-Koalition aufgelegt und erstmals im Bundeshaushalt 2025 für eine Pilotphase vorgesehen – könnte Wege aufzeigen, um hier mittelfristig Abhilfe zu schaffen. Dieses Programm ist im Bundesbauministerium angesiedelt, zu Beginn mit 1.500.000 Euro ausgestattet und wird hoffentlich in diesem Jahr gestartet. Für eine Wirkung in der Breite der bestehenden bundesdeutschen Club-Landschaft wäre jedoch ein Volumen von mindestens 25.200.0000 € erforderlich. Laut Clubstudie existierten 2019 rund 2.000 Musikspielstätten. Gemäß Clubstudie verzeichneten 2019 rund 42% der Spielstätten aktuelle Schallkonflikte. Nach Erfahrungswerten im Berliner Schallschutzfonds kostet im Durchschnitt eine Schallschutzmaßnahme 30.000 €. Zu den 25,2 Mio. Euro käme ein Maßnahmentopf für Festivals, Kommunikations- & Dialog-Maßnahmen und Administration hinzu. Bei den Antragsstellungen könnten ggf. durch eine Abfrage Erhebungen zu den vorliegenden Arten der Konfliktsituation vorgenommen werden, im Laufe des Projekts die Wirkungen ermittelt und somit ein besseres Lagebild entstehen.

Schallkonflikte, die durch die Kategorie B) Publikums-/Besucherverkehre ausgelöst werden, sind gemäß der TA-Lärm der Anlage direkt zuzuordnen und müssen die geltenden Werte einhalten. Die Einflussmöglichkeiten der Betreiber:innen sind insbesondere bei Objekten, wo keine eigenen Außenbereiche vorhanden sind, stark limitiert.

Nicht wenige Clubs verfügen über keinen Außenbereich. Deren Eingangstüren grenzen direkt an den öffentlichen Raum (Fußweg) und/oder sie verfügen gar keine eigenen Parkplätze, sondern gleichen diesen Mangel durch Stellplatzablöse an die jeweilige Kommune aus.

Kommunen werden zunehmend mit der Situation konfrontiert werden, dass der Klimawandel zu mediterrane Lebensgewohnheiten führt und sich Menschen vermehrt spät und nachts (in den kühleren Stunden) draußen aufhalten und daraus belebtere bzw. lautere Situationen entstehen.

Eine Kulturschallverordnung könnte ein Weg sein, um separat zum gängigen Regelwerk für andere Formen des Gewerbelärms gesonderte Regulierungen für Musikclubs und weitere kulturelle Orte zu treffen.

Wenn sich kurzfristig eine solche Reform nicht realisieren lässt, ließen sich ggf. auch durch bundesweite Präzisierungen der TA Lärm für kulturbezogene Ausführungsvorschriften für Ordnungsämter, Veranstalter:innen und schallmessendes Fachpersonal die Lage für die Beteiligten verbessern.

Konkrete Handlungsfelder

Bei effektiven Schallschutzmaßnahmen (siehe A) verschwindet nachweislich die Impulshaftigkeit und Informationshaltigkeit aus dem Schall der „Draußen“ ankommt, der in den aktuellen Regelungen vorgesehene Dezibel-Zuschlag könnte also entfallen bzw. flexibel gestaltet werden, wenn der Veranstalter mit fachlichen Messungen nachweist, dass durch Schallschutzmaßnahmen sein Kulturschalllärm statistisch in der Regel nicht mehr impuls- und informationshaft ist. Bei der Impulshaftigkeit ist das sehr einfach zu belegen, weil es eine Berechnungsformel gibt. Bei Informationshaltigkeit könnte ein Messverfahren wissenschaftlich begründet für so eine Einschätzung entwickelt werden, anstatt die Entscheidung wie bisher dem Ermessen der Behörden (Ordnungsämter) zu überlassen.

Akuter Handlungsbedarf existiert aber auch aufgrund des Befunds, den alle Messenden, Behörden und Veranstalter:innen verzeichnen: Bei Messungen ist häufig der Umgebungslärm (ohne Club-Betrieb) lauter als die erlaubten Db-Grenzwerte. Oftmals liegt der Straßenlärm nachts schon oberhalb des nach TA-Lärm erlaubten und müsste deshalb psychoakustisch als eine Art „Noisefloor“ (Grundrauschen) behandelt werden. Mithin müsste also das nur als störend gelten, was über das hinaus geht, was die Anwohner:innen ohnehin ohne das Auftreten von Kulturschallereignissen an jenem Ort gewöhnt sind (und darum schon gar nicht mehr „hören“).

Dieses Problem verstehen im Prinzip auch die Immissionsexpert:innen in den Umweltämtern und lassen sich bei Einzelevents mit anerkannt hohem öffentlichen Interesse auf ein entsprechendes adaptiertes Messvorgehen in der Regel ein – schließlich entspricht es dem eigentlichen Anliegen der TA-Lärm, die tatsächliche Störwirkung des Lärmereignisses zu bemessen. Allerdings wird eine solche Regelung, die im Prinzip für die Mehrheit von Kulturveranstaltungen Anwendung finden müsste, bei weitem nicht von allen Ordnungsbehörden in der Praxis realisiert. Eine Berücksichtigung von vorhandenem Umgebungslärm ist bereits in der TA-Lärm dem Sinne nach angelegt, jedoch wird dies eher selten angewendet.

Ein Lösungsansatz zur Vereinfachung wäre hierfür, daraus eine sinnvolle Verordnung (z.B. in einer Kulturschallverordnung) zu gießen oder mindestens entsprechend abgestimmte behördliche Rundschreiben zu versenden. Als Beispiel könnte die von der EU vorgeschriebene Nachtlärmkartierung herangezogen werden, die relativ genau für einzelne Wohnblocks den Noisefloor des Straßenlärms einschätzt (hier ein Beispiel für Berlin). Wieviel genau eine Dosis von Kulturschall in dB darüber bei unterschiedlichen Bebauungstypen liegen darf, um nicht als störend zu gelten, wäre noch zu erforschen und zu diskutieren („Flexi-TA-Lärm“). Diese Stoßrichtung könnte jedenfalls die tatsächliche zusätzliche Belastung der Anwohner:innen durch den Kulturschall berücksichtigen und würde gleichzeitig Anreize für Betreiber:innen von Veranstaltungsorten bilden, in Lärmschutzmaßnahmen zu investieren.

Der künftige Umgang mit tieffrequenten Immissionen (die für Musikevents typisch sind, aber bislang immissionsrechtlich nur im Bundesland Berlin berücksichtigt werden) und deren anerkannte Messformen liefern einen weiteren, offensichtlichen Klärungsrahmen. In einer von Benjamin Bernschütz (Technische Hochschule Mittelhessen (THM)) durchgeführten Umfrage (Titel: „(Tieffrequente) Lärmimmissionen bei Veranstaltungen – Eine Analyse der behördlichen Herausforderungen“) bei Ordnungsbehörden halten 70% die Einführung eines Verfahrens zur Tiefbassmessung für mindestens eher dringlich. Ferner sprechen sich 90% dafür aus, dass ein solches Verfahren möglichst simpel und praktikabel sein sollte und nicht unbedingt ultra-präzise.

Die Berücksichtigung von saisonalen Gegebenheiten (Sommer/Winter wegen der unterschiedlichen Möglichkeit Fenster zu schließen) wäre ein weiteres Handlungsfeld, um kontextuelle Flexibilisierungen zu erwägen. Ferner wäre zu diskutieren, ob es nicht den aktuellen Lebensverhältnissen in Deutschland besser entsprechen würde, die Nachtzeit an Freitagen und Samstagen in solchen Innenstadtquartieren, die stark durch Nachtgastronomie geprägt sind, grundsätzlich um 2 Stunden von 22 Uhr auf 24 Uhr hinauszuschieben. Auch hier sieht die TA Lärm bereits jetzt durchaus Handlungsspielräume (Verschiebung der Nachtzeit, wenn örtliche Gegebenheiten vorliegen) vor, die bisher jedoch eher selten genutzt werden.

Ein weiterer Ansatz für eine gesonderte Behandlung in Sachen Bestandsschutz könnte auch eine verpflichtende Kartierung von Musikclubs mit nachweisbar kulturellem Bezug in einem Club/Kultur-Kataster sein. Dies könnte durch Ergänzungen der Kennzeichnungspflicht in Bundes- oder Landesbaugesetzbüchern erfolgen. 

Zudem wären mehr Forschungsgelder für den Bereich „Freizeitlärm“ wünschenswert, so dass nächtliche Geräuschsituationen in ihrer tatsächlichen Störwirkungen analysiert und Lösungsansätze entwickelt werden können (z.B. Wirksamkeit von Schallschutzmaßnahmen in Außenbereichen, Formel zur Abschätzung der Informationshaltigkeit von Musik, Untersuchung zur psychoakustischen Störwirkung von Bassvibrationen). Bislang basieren wissenschaftliche Einschätzungen zur Lästigkeit und Gesundheitsgefährdung von Lärm, zur Störwirkung von Tiefbass und zur Effektivität der Schalldämmung von Fassaden auf über 20 Jahre alten Studien mit eher kleinen Fallzahlen, in den größtenteils Industrielärm, nicht aber die Auswirkungen von Musikschall im Speziellen untersucht wurden.

Dialog-fördernde Instrumente, die die Kommunikation zwischen Anwohnenden, Veranstalter:innen und Behörden/Polizei verbessern und ein Beschwerdemanagement, das objektiviert und nicht einseitig Veranstalter:innen im Aufwand belastet wäre/n begrüßenswert. Bestenfalls könnten hier digitale Instrumente aufgesetzt werden, die direkt in allen Kommunen bundesweit zur Verfügung stünden.

Zur Diskussion und der Erarbeitung von anwendbaren Methoden wäre aus Sicht LiveKomm eine gemeinsame Arbeitsgruppe aus Mitgliedern der Umweltministerkonferenz (UMK), Bauministerkonferenz (BMK), Kulturministerkonferenz (KMK) und Teilnehmer:Innen aus den Fachverbänden der Musikspielstätten zielführend.

Es gibt viel zu tun. Der Vorschlag einer Kulturschallverordnung belebt diese dringend erforderliche Debatte und bringt die relevanten Akteure erstmals zusammen. Ein Hoffnungszeichen, der die Clubgeräusche und die Konflikte darum nicht gänzlich verhindern wird, jedoch aber ansetzt, die Lage für alle Beteiligten konstruktiv weiter zu entwickeln und sich ändernde, gesellschaftliche Lebenswirklichkeiten aufzugreifen.

Berlin / Hamburg im September 2024

LiveKomm AK Kulturraumschutz:
Stephan Benn (Köln/ Liveinitiative NRW), Anna Blaich (Mannheim/ Ba-Wü), Thore Debor (Hamburg), Steffen Kache (Leipzig/ Sachsen), Pamela Schobeß (Berlin), Andreas Walz (Brandenburg a.d. Havel/ Brandenburg), Marc Wohlrabe (Berlin/ Brandenburg)

Geschäftsführung LiveKomm:
Christian Ordon (Hamburg)Kommunikation/ Presse:
Michael Smosarski (Hamburg/ Berlin)