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Kaum Bewegung beim Lärmschutz

Referentenentwurf zur TA Lärm liegt vor # LiveKomm verfasst Stellungnahme # Verbände und Bundesländer können noch bis zum 26. Juni Positionen einreichen #

Der vorgelegte Entwurf einer Lärmschutznovelle verpasst das Ziel, Kultur zu schützen und moderne Stadtentwicklung zu fördern. Bauprojekten werden zusätzliche Hürden gesetzt, für bestehende Kulturorte gibt es keine nennenswerten Verbesserungen. Die mancherorts minimal angehobenen Dezibelgrenzen werden in städtischen Gebieten allein schon durch Verkehrsgeräusche überschritten. Überdies wird die komplizierte Neuregelung in der Praxis kaum Anwendung finden.

Seit dem 21. Mai 2024 liegt seitens der ministeriellen Fachebene des Bundesumweltministeriums der „Entwurf einer Zweiten Verwaltungsvorschrift zur Änderung der Technischen Anleitung zum Schutz gegen Lärm“ vor. Zwar enthält der Entwurf den Vorschlag, dass in bestimmten Bereichen nachts höhere Lärmwerte gelten dürfen, wenn bestimmte Voraussetzungen unter strengen Vorgaben erfüllt sind. Jedoch werden diese Grenzwerte kaum je greifen, da die Paragraphen so viele Bedingungen und Vorgaben vorsehen, dass in einer künftigen Wohnungsbaupraxis kaum eine spürbare Relevanz zu erwarten ist.

Bislang sind insbesondere keine substantiellen Verbesserungen für den Bestand von Kulturorten bei heranrückender Wohnbebauung vorgesehen, sondern lediglich bei Bauvorhaben, bei denen Bebauungspläne geändert werden müssen. Die meisten Bauprojekte finden jedoch nicht auf der Basis neuer Bebauungspläne statt, sondern auf der Basis bereits bestehenden Bauplanungsrechts oder gewachsener Strukturen ohne Bebauungsplan. Wenn dies so bliebe, wäre die neue Verordnung reine Symbolpolitik, die uns in diesem Fall leider nicht hilft“, stuft Christian Ordon, Geschäftsführer der LiveKomm, den Entwurf ein.

Konkret sollen demzufolge die Immissionsrichtwerte nachts außerhalb von Gebäuden in urbanen Gebieten von 45 dB(A) auf 50 dB(A) angehoben werden und in Kern- und Mischgebieten auf 48 dB(A). In allgemeinen Wohngebieten sollen sie bei 43 dB(A) liegen. Die Regeln sollen im Rahmen einer Experimentierklausel zunächst bis Ende 2032 gelten.

Der Referentenentwurf liegt somit weit hinter den Erwartungen der Live-Branche. Die LiveKomm hat daher eine ausführliche Stellungnahme vorgelegt. Die Vereinbarung von SPD, GRÜNE und FDP sieht im Kapitel „Bauen und Wohnen / Städtebau“ (auf Seite 93) vor, dass die TA Lärm modernisiert und an die geänderten Lebensverhältnisse in den Innenstädten anpasst wird, um Zielkonflikte zwischen Lärmschutz und heranrückender Wohnbebauung aufzulösen. Dabei soll auch der kulturelle Bezug von Clubs und Livemusikspielstätten berücksichtigt werden.

Auch die Immobilienbranche zeigt sich verhalten. Der große Wurf werde die Vorschrift nicht, heißt es in ersten Reaktionen. So titelt die Immobilen-Zeitung: „Neue TA Lärm bringt Schranken statt Chancen“.

Der vorliegende Entwurf bildet innerhalb der Bundesregierung eine erste Diskussionsgrundlage, es können derzeit noch bis zum 26.06.24 Änderungsvorhaben über die Bundesländer oder die Ministeriumsleitung einfließen. Für viele Kulturschaffende wäre es enttäuschend, wenn diese Chance auf erleichternde Schall-Immissionsschutzregeln ungenutzt bliebe. Die fiktive Nachtruhe bliebe weiterhin der heilige Gral, die oftmals insbesondere in innerstädtischen Lagen allein durch den Straßenlärm kaum erfüllbar ist, da der allgemeine Verkehr bereits oberhalb der nach TA-Lärm erlaubten Grenzwerte liegt. Treten dort dann Kulturschallereignisse (z.B. durch Menschen bei der An- und Abreise) auf, werden diese rechtlich weiterhin verunmöglicht. Die Kultur wird so einer Verödung der Innenstädte – insbesondere in den Nachtstunden – kaum entgegenwirken können.

Die Kernfrage, die die Bundesländer und die Politik sich dieser Tage stellen muss, lautet: Wie viele Menschen und deren Immissionen bei An- und Abreisen sind nachts erlaubt, gewünscht und tolerierbar? Einer ‚Experimentierklausel‘ sollte man zudem ansehen, dass die Beteiligten gewillt sind, ein ‚Experiment‘ zu wagen.“, kommentiert Thore Debor, Sprecher der LiveKomm AG Kulturraumschutz und fordert Anpassungen beim Ausgleich von Interessen beim Schallimmissionsschutz für Bestandsbetriebe.

Erläuternde Kurzfassung der Stellungnahme

Die LiveKomm lehnt den Entwurf zur Änderung der TA Lärm in dieser Form entschieden ab!

Die Kritikpunkte am Entwurf im Allgemeinen sind folgende:

  • Die Novelle soll nur für Bauvorhaben mit Bebauungsplan gelten, und auch dort nur bei expliziter Bezugnahme auf die Experimentierklausel. Die Mehrzahl von Bauprojekten findet aber nicht auf der Basis neuer Bebauungspläne statt, sondern auf der Basis bereits bestehenden Bauplanungsrechts oder gewachsener Strukturen ohne Bebauungsplan. Somit wäre nicht nur der Anwendungsrahmen extrem eingeschränkt – auch für bestehende Musikspielstätten ergäben sich keinerlei Verbesserungen.
  • Es werden neue Hürden beim Bauen geschaffen: Statt das bei Neubauten höhere Schalldämmmungsmaß zu berücksichtigen, werden für Neubauten noch höhere Anforderungen formuliert. Dazu gehört der Einbau teurer Schallschutzfenster, unnötigerweise auch für Räume, in denen nicht geschlafen wird, nur weil diese zur Straße hin liegen.
  • Zudem soll weiterhin keine Unterscheidung getroffen werden zwischen Kulturschall und Gewerbelärm, etwa in Form von Kreissägen oder Maschinengeräuschen. Um gesonderte Steuerungen für die Kultur – abseits von Gewerbe- und Industrielärm – zu ermöglichen, hat die LiveKomm – analog zum Sportlärm – einen Vorschlag für eine Kulturschallverordnung (V3) inklusive Begründung entwickelt, der seit September 2023 vorliegt.

Des Weiteren sieht die LiveKomm  Anpassungsbedarfe in folgenden Bereichen:

1. Lösungen für Anreiseproblematik bei Fuß- und Radverkehr

Verhaltenslärm der Besuchenden wird weiterhin den Musikspielstätten zugerechnet. Dies kann aber nur für Flächen gelten, in denen das Hausrecht umsetzbar ist. Abseits des Nahbereichs der Betriebsgrundstücke kann und darf dies den Clubs- und Livemusikspielstätten künftig nicht mehr zugerechnet werden.

2. Impulshaltigkeit und Informationshaltigkeit flexibilisieren

Geräusche sind informationshaltig, wenn sie „in besonderer Weise die Aufmerksamkeit einer Person wecken und sie zum Mithören unerwünschter Informationen anregen“, sowie impulshaft, wenn „eine besondere Auffälligkeit des Geräusches durch Impulse gegeben ist“. 

Je nach zu erwartender Auffälligkeit ist im aktuellen Entwurf weiterhin ein Dezibel-Zuschlag auf solche Geräusche vorgesehen.

Bei dauerhaft betriebenen Musikspielstätten sollte den Veranstaltern zumindest gestattet werden, nachzuweisen, dass sie geeignete schallschutztechnische Maßnahmen getroffen haben, so dass diese Zuschläge entfallen können.

3. Immissionswerte anpassen

Die vorgesehene Anhebung der Dezibelgrenzen fällt zu gering aus. Sie sollte sich mindestens an den Werten der Bauministerkonferenz von 55 dB(A) beim urbanen Gebiet nachts orientieren – der aktuelle Entwurf sieht lediglich eine Anhebung auf 50 dB(A) [vorher: 45] vor.

In den Wintermonaten ist ein Schließen der Fenster zumutbar, die erlaubten Dezibel-Werte sollten entsprechend saisonal höher liegen. 

Zudem bedarf es eines Dezibel-Abschlags auf herrschenden Verkehrslärm, da dieser nicht den Musikspielstätten zugerechnet werden darf.

4. Anpassung der Messpunkte

Schallmessungen sollen gemäß Referentenentwurf weiterhin vor dem geöffneten Fenster erfolgen. Bei entsprechenden Dämmmaßnahmen sollte jedoch eine Messung hinter geschlossenem Fenster die Regel sein. Zudem sind Messwerte künftig nur an Schlafzimmern als schutzwürdige Räume anzulegen.

5. Keine zeitliche Befristung der Experimentierklausel

Da die Neuregelung nur im Zusammenklang mit neuen Bauplänen gelten soll, ist die Befristung der Geltungsdauer von 10 Jahren zu gering. Allein das Aufstellen von neuen Bebauungsplänen dauert in der Regel zwischen 5 – 7 Jahre. Eine bauliche Fertigstellung nimmt noch weitere Jahre in Anspruch. Bis hier messbare Ergebnisse aus der Veranstaltungspraxis vorlägen, wäre der Befristungszeitraum abgelaufen.

6. Gültigkeit in weiteren Gebietskategorien

Die Neuregelung muss in allen Gebietskategorien Anwendung finden können, in denen Gewerbebetriebe und Kultureinrichtungen zulässig sind oder bereits bestehen.

7. Informationsfluss über heranrückende Wohnbebauung gewährleisten

Betreiber:innen von Kulturstätten sind meist Mieter:innen, keine Eigentümer:innen. Werden nur letztere über Baupläne informiert, verpassen Betreiber:innen die Chance, ihre Anliegen vorzutragen. Teil einer Lösung könnte eine verpflichtende Kartierung von Musikspielstätten im Rahmen von Katastern sein sowie die rechtliche Verpflichtung, diese bei Bauvorhaben zu berücksichtigen.

8. Bundesschallschutzprogramm verstetigen

Mit Investitionen in den baulichen Schallschutz werden lebendige Quartiere erhalten, weil sich das Ruhebedürfnis der Anwohner und die Bedarfe der Musikspielstätten und Festivals besser in Einklang bringen lassen. Nach der Pilotphase sollte das Bundesschallschutzprogramm daher sogleich erweitert, ausgerollt und dauerhaft etabliert werden.

FAQ

Was würde mit Fällen nach Auslaufen der Frist (ab 2032) passieren, bei denen die Experimentierklausel Anwendung findet? Bestünde dann ein Bestandsschutz? 

Nach unseren Einschätzungen müsste ein Bestandsschutz für diejenigen Objekte greifen, die nach den Regelungen der Experementierklausel genehmigt würden. Sollte die Experimentierklausel im Jahr 2032 ohne Verlängerung oder entsprechender Nachfolgeregelung auslaufen, greift sie dann allerdings nicht mehr für weitere, neue Fälle. 

Bringt eine Kulturschallverordnung mehr als 18 seltene Ereignisse für die Musikclubs (zusätzlich zur TA Lärm)?

Eine Verdopplung von seltenen Ereignissen durch eine Parallelregelung war und ist nicht die Intention der LiveKomm. In der Praxis bliebe die Anzahl an zulässigen Ereignissen die, die in der jeweils zugrunde gelegten Regelung verzeichnet sind – egal, ob nun die TA Lärm, die Freizeitlärmrichtlinie oder eine etwaige Kulturschallverordnung zur Anwendung käme.

Wie reagiert die LiveKomm auf die Kritik, dass die Berücksichtigung von passiven Schallschutz aufgrund der Dämmwirkung von Wänden bei tieffrequentem Schall gering ist und insbesondere bei tieffrequenten Pegelbereichen (Bass) nicht geeignet sei?

Eine Kulturschallverordnung löst nicht das Problem der baulichen Herausforderungen in Sachen Schalldämmung. In einer jetzigen Novellierung gilt es vorwiegend den “Schallkonflikt” von menschlich verursachten Lärm (Verhaltenslärm) in den Nachtstunden anzugehen.

Um Konfliktfeld von ausreichenden Schalldämmungen zu lösen, setzt die LiveKomm auf einen deutlichen Ausbau eines Bundesschallschutzprogramms. 

Auf welche Passagen im Ampel-Koalitionsvertrag beziehen sich die Einlassungen der LiveKomm für eine Kulturschallverordnung? 

“S. 72/73: Wir wollen zum Schutz der Gesundheit zukünftig die gesamte Lärmsituation berücksichtigen und werden die Einführung einer Gesamtlärmbetrachtung prüfen. Diese könnte zum Beispiel die Belastungen aus Straßen-, Schienen- und Luftverkehr sowie von Industrie- und Gewerbeanlagen zusammenführen. Die TA Lärm werden wir modernisieren und an die geänderten Lebensverhältnisse in den Innenstädten anpassen, um Zielkonflikte zwischen Lärmschutz und heranrückender Wohnbebauung aufzulösen.

Wir erkennen für Clubs und Livemusikspielstätten ihren kulturellen Bezug an. Für beides werden wir die Baunutzungsverordnung und TA Lärm anpassen. (…)

S. 97.: Clubs und Livemusikstätten sind Kulturorte. Wir sichern kulturelle Nutzungen in hochverdichteten Räumenund unterstützen Investitionen in Schallschutz und Nachhaltigkeit.”